– die Proben für ihr neues Stück „Stages of Crisis“ gehen weiter
Ihr neues Stück „Stages of Crisis“ wollte die Choreografin Constanza Macras ursprünglich im HAU, dem Hebbel am Ufer in Berlin, herausbringen. Gedacht war es als eine Weiterentwicklung ihrer site-specific Performances wie „Branches“ (2012) und „Forest“ (2013), alle aus dem Zyklus „The Nature of Crisis“. Nur diesmal war es als eine Bühnenarbeit gedacht.
Mit der Arbeit an diesem Stück im Spannungsfeld von Ökonomie und Ökologie hatte Constanza Macras bereits begonnen, als Corona sie einholte. Seit das strenge Kontaktverbot gilt, sind reguläre Proben nicht mehr möglich. Macras hat die Tänzer*innen ihrer Kompanie DorkyPark nach Hause geschickt. Und sich selbst in eine Art häuslicher Quarantäne begeben. Kollegen aus Italien und New York hätten sie angerufen und schon früh vor der Pandemie gewarnt, erzählt sie. Ihre Wohnung in Kreuzberg verlässt sie nur noch selten.
Zum Interview treffen wir uns dennoch in ihrem Studio in der Klosterstraße in Berlins Mitte. Nur ihre Regieassistentin Marie Glassl ist an diesem Tag anwesend. Macras desinfiziert den Tisch, bevor sie ihren Laptop aufbaut, holt dann ein Handdesinfektionsmittel aus ihrer Tasche, eins, das auch gegen Viren wirke. „Das hat mir der Regisseur Ersan Mondtag geschenkt“, sagt Macras lächelnd. „Er ist ein wahrer Freund!“
Die Tänzer*innen und Musikerinnen hocken derweil alle brav im ‚Homeoffice‘. Um den kreativen Prozess fortzuführen, kommunizieren alle nun in einer Live-Video-Schaltung miteinander, wie es in Wirtschaft und Politik längst üblich ist.
Die Nutzung von Videokonferenz-Diensten ist seit der Corona-Pandemie explodiert. Trotzdem funktioniert sie an diesem Tag gut. Zugeschaltet sind die Tänzer*innen Ana Mondini, Candaş Bas, Adaya Berkovich, Emil Bordas, Chia-Ying Chiang, Johanna Lemke, Sonya Levin, Thulani Mgidi, und Miki Shoji sowie die beiden Musikerinnen Almut Lustig und Kristina Lösche-Löwensen.
„Können wir ein bisschen was von der Sequenz machen?“ fragt Macras. „Wie Ihr seht, bin ich im Studio. Das gibt Euch das Gefühl, dass ich probe. Okay, alle bereit?“ Dann legen die Tänzer*innen los. Im Schlafzimmer, im Wohnzimmer, in der Küche oder im Bad: Tanzen in der kleinsten Hütte. Achtsam vermessen die Tänzer*innen den knappen Raum, oder stürzen sich kurz in einen energetischen Wirbel, als gäbe es nur diesen einen Moment. Es ist merkwürdig, dieses Flackern der Körper zwischen virtueller Anwesenheit und realer Abwesenheit. Doch bei aller Entkörperlichung, die die digitalen Medien mit sich bringen, wirken diese expressiven Soli sehr berührend.
Macras hat ihren Tänzer*innen eine besondere Aufgabe gestellt „wegen der apokalyptischen Zeiten“. Sie sollen eine Szene aus dem Stummfilm-Klassiker „Metropolis“ von Fritz Lang variieren: den Tanz der Hure Babylon. Brigitte Helm als Maschinen-Maria betört da mit ihren ekstatischen Bewegungen die Männer der Bourgeoisie. Die DorkyPark-Tänzer*innen hüllen sich in durchsichtige Schals oder werfen sich einen schwarz-weiß-gestreiften Umhang um. Verführerisch lassen sie das Becken kreisen, sie drehen sich um die eigene Achse in einem Trance-Tanz oder vollführen eckige Bewegungen wie Maschinenwesen.
Tanzen in Zeiten der Isolation: Für einige der Performer*innen fühlte sich diese Form der Telearbeit selber zunächst seltsam an, doch alle haben sich schnell daran gewöhnt und sind froh, dass sie weiterhin proben könnten. „Die digitale Kommunikation ist für mich immer ein bisschen eine Entfremdung von den Anderen, aber diesmal ist das Gegenteil der Fall, weil wir so viel miteinander teilen. Wir tauschen uns über die aktuelle Situation aus, wir teilen unsere Ideen. Ein Duo mit einem anderen Tänzer zu kreieren, stellt eine Herausforderung dar, ist aber auch sehr aufregend“, erzählt die türkische Tänzerin Candaş Bas.
Die gemeinsame Arbeit gebe den Tagen im Homeoffice eine gewisse Struktur, erzählen die Tänzer. Es helfe auch gegen das Gefühl der Vereinsamung. “Ich würde mich sonst sehr allein fühlen”, meint die Tänzerin Chia-Ying Chiang aus Taiwan. “Ich schaue mir zu Hause Filme an oder lese, alles mache ich allein. Aber durch diese Zusammenarbeit mit den anderen kann ich die Energie der Gruppe spüren.”
Eine erste Probenphase hat Macras schon im August letzten Jahres abgehalten.
Sie hat unter anderem an einer Szene gearbeitet, die in einem chinesischen Supermarkt spielt. Die Performer lieferten sich da, lange vor Corona, einen erbitterten Kampf um die letzten Nudelpackungen. „Das ist ein Kassandra-Moment!“, lacht Macras. „Kunst kann prophetisch sein!“ Auch der Titel “Stages of Crisis” lässt sich doppeldeutig lesen: Es entstehen neue Bühnen – öffentliche und private – für die aktuelle Krisenerfahrung; aber wie viele Bühnen werden nach dem Lock-down in die Krise schlittern? Derzeit kann keiner sagen, wann die Theater wieder öffnen werden.
Sie als Choreografin werde schon überleben, glaubt Macras, auch wenn sie vom Berliner Theatersystem abhänge. Größere Sorgen macht sie sich um ihre Tänzer*innen. Vier der Tänzer von DorkyPark sind fest angestellt, alle anderen sind freischaffend. Sie leben unter prekären Umständen. Nun müssen sie sich noch mehr einschränken. “Meine Mitbewohnerin und ich, wir verbrauchen weniger Strom und Toilettenpaper, wir duschen nicht mehr so oft und kochen zusammen, um Geld fürs Essen zu sparen”, erzählt Chia-Ying Chiang.
Für die Proben am neuen Stück werden alle bezahlt, das hat Macras ihren Tänzer*innen zugesichert. „Ich versuche zuallererst, ihnen Sicherheit zu geben. Okay, lasst uns zusammenhalten! Macht Euch keine Sorgen! Wir werden das mit Kreativität gemeinsam managen.“
Ende Februar hatte Macras noch „The West“ an der Volksbühne herausgebracht. Die Vorstellung am 27.März musste abgesagt werden. Mit der Gage hatten die Tänzer*innen schon fest gerechnet. Zunächst teilte die koproduzierende Volksbühne Macras per Mail mit, dass keine Gage gezahlt werde. Erst nachdem Druck aufgebaut wurde von Seiten der Grünen und auf journalistische Nachfrage, hat die Volksbühne Entgegenkommen signalisiert. “Die Volksbühne zahlt der Kompanie jetzt die Hälfte einer Vorstellungsgage. Darüber hinaus wird es einen Nachspieltermin geben, den wir allerdings noch nicht kennen”, teilt die Pressesprecherin Stefanie Eue am 31.März mit. Immerhin ein kleiner Erfolg für Macras.
In der freien Tanzszene, unter Kollegen gibt es in der Corona-Krise viel Solidarität. Das gibt Macras Zuversicht. Sie und ihre Tänzer*innen nutzen den momentanen Ausnahmezustand für soziologische Betrachtungen und für die Selbstbeobachtung.
Macras konstatiert: “Dies ist eine gute Zeit, um darüber nachzudenken, wie wir leben – und in welche Richtung wir unsere Gesellschaft weiterentwickeln wollen.”
Titelbild: Screenshot©Constanza Macras