Ganz, ganz viele schlechte Träume
Das Tanztheater Wuppertal schlägt mit „Schlafende Frau“ ein gewaltiges Bilderbuch auf, das einfach zu viel will
Filmbesprechung von Rico Stehfest
Es beginnt wie ein Film. Da schläft im Prolog eine Frau auf einer Liege, dem Betrachter abgewandt. Ein Mann geht seinen Verrichtungen nach. Alles scheint dabei mit Bedeutung aufgeladen, eine unterschwellige Bedrohung könnte man wahrnehmen. Die Dinge sind nicht, was sie zu sein scheinen. Der Werkstattcharakter des Raumes hat eine eigentlich andere Bedeutung. Oder gar keine. Das Leben, so heißt es da, sei nichts anderes als ein wandernder Schatten. Ein bisschen, ein ganz kleines bisschen mag man an Becketts Universum denken. Die Schatten, ganz klar, das sind hier Träume, Gespinste des Gehirns. Und die Kamera ist dem ganz nah, immer wieder leicht rätselhaft Ausschnitte in Bodennähe zeigend.
Da ist es auch nicht weit bis zu postapokalyptischen Bildern mit Gasmaske, Stableuchte und viel Bühnennebel. Im Boden klafft ein riesiger Abgrund. Die Performer des Tanztheaters Wuppertal krauchen zuckend über den Boden. Der Raum selbst aber bleibt unbestimmt. Kaum, dass man sich fragen kann, was eine Szene mitteilen mag, schon kommt es zu einem abrupten Wechsel, einem deutlichen Bruch in der Musik, in der Szene, im Bild. Auf ein Solo folgt noch eins. Die Musik bringt so viel mit, dass sie am Ende beliebig wirkt.
Das Eine jagt das Nächste, lose aneinandergereiht. Dabei gerät die Kameraarbeit mehr als einmal in kraftvollen Szenen um weites hektischer als die Performance selbst. Diese Arbeit in der Choreografie von Rainer Behr quillt an allen Ecken und Enden über angesichts der Fülle von Ideen. Da bewegt sich eine riesige Ansammlung von Scheinwerfern langsam über die Bühne wie ein glücksbringendes Ufo. Da führen zwei Laptops einen „Dialog“, künstliche Intelligenz, die nichts als hohle Phrasen drischt. Da ist das Mikrofon tot, und im Raum steht die Frage, wer es getötet hat. Nach 50 Minuten skandiert Nazareth Panadero: „Nichts. Nada. Black. Rien. Ende.“ Schön wär’s. So einfach ist das aber offenbar nicht. Immer weiter. Alles muss raus!
Dabei misslingt eigentlich keine der Szenen. Es sind sensible Szenen, starke Szenen. Nur hätte eine dramaturgische Auswahl die Aussage hier eindeutig verdichten können, wodurch die Aneinanderreihung der Szenen weniger beliebig wirken würde. An einer Stelle heißt es auch aus dem Off: „too much to comprehend, too much to say“. In der Tat.
Genau so viele Ideen hat hier auch die Kamera, die einfach viel zu viel will. Anstrengend verwackelte Handkamera ist eine künstlerische Geste, überstrapaziert aber den Zuschauer ganz eindeutig. Dann die Linse als Fischauge, bis die Kamera schließlich sogar Kopf steht.
Mehr als zwei Stunden dauert es, bis diese Arbeit, aber wohl nicht der Traum zu einem Ende findet. Viele Details aus der Arbeit finden sich dann simultan auf der Bühne wieder, wie Erinnerungen, die in einen Topf geworfen werden. Was das will, bleibt offen. Dann noch ein ausgelassener Reigen aller Beteiligter, der … ja, was wohl? Der unsere Träume und deren Freiheit feiert?