It has to click – Ein Ballett für das 21. Jahrhundert
Richard Siegal und das Ballet of Difference
Für mich ist es also wichtig zu trennen zwischen Ballett als Kanon von
Kunstwerken, die wir geerbt haben und die weiter aufgeführt werden. Und
Ballett als Kanon von Schritten und Idealen, deren Codes wir mit unseren
Körpern schreiben. Das finde ich extrem wirkmächtig und unendlich
interessant.
Dancing Siegal-Style
Smart – sexy – hip
Getanzte Hermaphroditen-Erotik. Highspeed-Spitzentanz. Vertrackte Virtuosität mit Off-Balance-Linien, lässigen Hüft-Kicks, flippig-groovenden Beine. Und trotz der gewaltigen Elektrosound-Gewitter von Komponisten wie Lorenzo Bianchi Hoesch, Alva Noto, Atom™ – Ballett bleibt die Basis. Der Ex-Forsythe-Tänzer Richard Siegal ist einer der talentiertesten Adepten der Dekonstruktivisten-Schule.
Richard Siegal wird der „Mr Turbo“ der Forsythe-Truppe: schnell, charismatisch, furchtlos. Aber auch als Choreograf wird er früh als Hochbegabung entdeckt. Die stilistische Nähe zu William Forsythe bleibt sichtbar, aber egal: Genial weiterspinnen ist auch genial.
Richard Siegal choreografiert für Kompanien weltweit, darunter das Bayerische Staatsballett, das Ballet National de Marseille, die Sao Paulo Dance Company, das Tanztheater Wuppertal Pina Bausch, das Festival Ruhrtriennale. 2006 gründet Siegal sein erstes eigenes Ensemble, „The Bakery“. 2016 dann: BoD, das Ballet of Difference.
Ein gutes Dutzend Tänzer*innen, ansässig in Köln und München. Sie beherrschen Ballett genauso wie HipHop, Voguing, Ethno-Dances oder Clubdancing. Powerfrauen, die keine Männer mehr brauchen für Pas-de-Deux‘. Männer auf Spitzenschuhen, ohne dass je auch nur der Gedanke an Travestie aufkäme. Was für ein wilder extravaganter Haufen!
Kopf mit Wollmütze – ein Markenzeichen, dem er schon lange treu ist. Als Künstler aber Richard Siegal ist ein Stilwunder, bekannt für seine Lust am ästhetischen Crossover. Tanzen ist Forschen und Experimentieren – inklusive großer Fallhöhen. So kann ein Abend von ihm auch ziemlich schiefgehen. In Siegals Repertoire: Riesige Tanzparties mit Laien. Raves auf Spitzenschuhen. Politisches Tanztheater. Digitale Gaming-Performances. Polyrhythmischer Stiefel-Trampeltanz…
Dazu der Thrill vorab: Wie wird das BoD diesmal aussehen? Da verpasst Mode-Visionärin Flora Miranda den Trikots metallisch-glitzernde Zacken und Schlingen. Bei der Body-Positivity-Stylistin Becca McCharen/Chromat sind es aufblasbare Gummi-Teile wie ein Super-Man-Umhang oder ein Pfauenschleppe. Und bei Industriedesigner Konstantin Grcic haben die Corsagen der Ballerinen Haltegriffe, an denen sie durch die Luft geschleudert werden können. Die Looks auf seiner Bühne – immer ein Highlight.
Was ist ein Spitzenschuh?
Hightech-Tool? Erotisches Accessoire? Waffe? Romantische Transzendenz? Reliquie?
Ballet of Difference –
Differenz als Ballettphilosophie?
Fotografie und Video: Klaus Dilger
Externe Fotografen: Thomas Schermer, Ray Demski
Text und Konzept: Nicole Strecker
Redaktion und Editing: Klaus Dilger