Tanzen im Panthéon: Darf man das? Teil I
Autor|in: Thomas Hahn
Veröffentlichung: 9. Juni 2020

Die Inspiration des Foucaultschen Pendels

Tanz erschließt immer neue Räume und strebt nach Deutungshoheit außerhalb der Theater. Denn der Körper von heute hat in Stein gemauerter Geschichte mehr zu erzählen als jede andere Kunstform. Eine Reise vom Pariser Panthéon bis in die virtuelle Realität.

 

Das Foucaultsche Pendel als Herzstück einer choreografischen Installation? Es geht, und zeigt dass monumentale Architektur mehr ist als museales Dekorum. Denn ein Monument, von Touristen seiner kulturellen Bedeutung wegen besucht, stellt Tänzer unvermittelt in einen Dialog mit nationalen oder universellen Mythen und somit in politische oder kulturelle Zusammenhänge. Wenn lebendige Körper in einer Kathedrale oder einem architektonischen Meilenstein ihre Präsenz und ihre Vergänglichkeit zelebrieren, dann atmen sie Geschichte, kollektives Gedächtnis, gesellschaftliche Zusammenhänge und: Zukunft.

Seit sechs Jahren dürfen Frankreichs Choreographen die Kulturschätze der Nation betanzen, vom Panthéon bis zur Abtei von Cluny, der Sainte-Chapelle, der Basilika von Saint-Denis und deren königlicher Gruft, dem Mont Saint-Michel, der Villa Savoye, die Le Corbusier 1931 baute, um dort mit Josephine Baker zu leben. Doch das blieb ein Traum des Architekten. Heute sind Tänzer ganz reale Gäste in Burgen, Schlössern, oder revolutionärer Architektur des 20. Jahrhunderts. In jedem Jahr öffnen mehrere der einhundert durch das Centre des Monuments Nationaux betreuten Bauwerke ihre Tore für choreographische Experimente. Der Titel der Veranstaltungsreihe lässt keine Zweifel aufkommen: Monuments en Mouvement. In die Kult(ur)stätten soll Bewegung kommen! Der Erfolg ist durchschlagend, weil Architektur dem Tanz authentische, reale und einmalige Räume anbietet und weil keine andere Kunst so erfindungsreich im Erobern neuer Zonen außerhalb der Theater agiert…. weiterlesen