Tanz die Architektur – Pendeln im Panthéon Teil II
Autor|in: Thomas Hahn
Veröffentlichung: 10. Juni 2020

Tanz erschließt ständig neue Räume und strebt nach immer mehr Wirkung auch außerhalb der Theater. Eine Reise vom Pariser Panthéon in die virtuelle Realität.

Das Foucaultsche Pendel: Herzstück einer choreografischen Installation? Ja, das geht, und es zeigt, dass monumentale Architektur mehr ist als museales Dekor. Ein Monument, von Touristen seiner kulturellen Bedeutung wegen besucht, stellt Tänzer unvermittelt in einen Dialog mit nationalen oder universellen Mythen und somit in politische oder kulturelle Zusammenhänge. Wenn lebendige Körper in einer Kathedrale oder in einem architektonischen Leuchtturm ihre Präsenz und ihre Vergänglichkeit zelebrieren, dann atmen sie Geschichte, kollektives Gedächtnis, gesellschaftliche Zusammenhänge und: Zukunft….

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Foucault, die Treppe und das Trampolin

Nicht fehlen durfte Yoann Bourgeois. Frankreichs berühmter Zirkuschoreograf interessiert sich nicht nur leidenschaftlich für physikalische Naturgesetze, er versteht es, im Zuschauer ein Gefühl von Ewigkeit und Unendlichkeit zu erzeugen, das einen mit dem Universum in Verbindung setzen darf. Dazu hat er ein modulares System entwickelt, das in zeitgenössischem Esprit die Tradition der Zirkusnummern neu erfindet. Alles dreht sich um die Fliehkraft und den Moment der Schwerelosigkeit, der entsteht, wenn der Ball des Jongleurs den höchsten Punkt seiner Flugbahn erreicht und darauf wartet, dass die Schwerkraft ihn in ihr Reich zurückholt. Gern übernimmt Bourgeois selbst die Rolle des Balls, was den Effet spürbar verstärkt. Da lässt er sich – ob in einem Solo, Duo oder mit mehreren Akrobaten zugleich – von einer Treppe auf ein Trampolin fallen und schnellt, wie schwerelos, zurück auf eine der Treppenstufen. Zugegeben, diese ständigen „Seitensprünge“ bilden eine merkwürdige Art, eine Treppe hinauf oder hinab zu gehen. Aber sie fasziniert. Fugue/Trampoline heißt dieses Meisterwerk, eigens für das Panthéon  neu erfunden und umgetauft in Énergie. Bourgeois ließ eine runde, rotierende Treppe bauen, sodass die auf und ab schwingenden Körper eine Art Verlängerung des Foucaultschen Pendels darstellten.